Sozialdrama?

Die Einordnung des Woyzeck als Sozialdrama, wenn auch im Rahmen eines work in progress, das sich erst nach und nach ausgehend von einer vermeintlichen Eifersuchtsballade im ersten Handschriftenentwurf in diese Richtung mausert, ist ein hermeneutischer Notbehelf einer mehr oder weniger ratlosen Literaturwissenschaft bzw. Literaturkritik. Zwar kann man bei der Figur Louis als Vorläufer des Franz Woyzeck von einem veritablen Eifersuchtskomplex sprechen, gleichwohl veranschaulicht uns der Autor noch nicht im mindesten, worauf diese Eifersucht beruht,  wir sehen auf der Bühne keinen Liebhaber Margreths, keine Auseinandersetzung der konkurrierenden Figuren, all das kommt erst später. Ein Narr muss dem Hintergangenen auf die Sprünge helfen. Das zeigt deutlich, dass es sich hier nicht um eine konventionelle Eifersucht eines ausgepowerten Soldaten in Bezug auf einen virilen Vorgesetzten handelt, sondern um etwas Verdecktes. Dabei kann man heuristisch die Regel ansetzen: Je diffuser das Bild bzw. die Konturen des Affekts, desto geringer der Abstand der beteiligten Figuren. Übrigens gilt das auch für die Konturen des militärischen Kontextes, die nicht wirklich sichtbar werden, sondern merkwürdigen wie kompromittierenden Autoritätsverhältnissen eine abstrakte Kulisse verleihen. Wenn besagter Interpretationsansatz gegen diese offensichtlichen Tatsachen auf die Einordnung des Woyzeck als Sozialdrama beharrt, dann nur durch die starre wie dünne Säule, das Adjektiv "arm" einseitig als materiell arm zu lesen und jede metaphorische Bedeutung zu ignorieren, womit man sich gleichzeitig im Hinblick auf kompetente Rezeption total disqualifiziert.

 

 

 

 

 

 

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