Bereits 1960 hat Volker Klotz die metaphorische Verklammerung im Woyzeck-Fragment identifiziert. In so gut wie jeder Szene finden sich Elemente eines "motivisch-metaphorischen Netzes". Dazu gehört die Farbe rot, der Gegensatz von heiß und kalt, die Abwärtsbewegung, Fenster und Auge und selbstverständlich Messer und stechen. Dieses Netz zieht sich durch alle Entwurfsstufen und sozusagen in den Szenen um die Ermordung des weiblichen Opfers zusammen.
Die metaphorische Verklammerung ist das zentrale Formelement des Dramas. Vergleichbares findet man nach Ansicht von Volker Klotz in der Literatur erst im 20. Jahrhundert, damit begründet der Germanist die Modernität Büchners. Klotz interessiert sich fast nur für den Unterschied zwischen geschlossener Form ('klassisch') und offener Form (modern), nicht aber dafür, was die Bildketten bzw. die metaphorische Verklammerung für den Inhalt des Dramas, also für dessen Dramaturgie bedeutet.
Besser und historisch korrekt versteht man die Metaphern- und Symbolstruktur des Woyzeck-Fragments als
Teil einer indirekten Rede (Allegorie), die der Handlung einen tieferen Sinn gibt, der nicht offen ausgesprochen werden kann. "Auge" und "Fenster" sind Hinweise, sozuagen an das Publikum gerichtete Aufforderungen hinzusehen, "Messer" und "stechen" stehen in direktem Zusammenhang it dem Mordmotiv. Schlüsselsatz: "Marie: "Das KInd gibt mir einen Stich ins Herz". Zu beachten ist insbesondere, dass das physische Messer, mit dem Woyzeck Marie ersticht, auch Teil der metaphorischen Verklammerung ist. Bemerkenswert ist noch, dass Herzogs Woyzeck-Film diesen Satz von Marie nicht enthält. (Übrigens auch nicht den Narren).
Wichtig im Hinblick auf Interpretation ist, dass die metaphorische Verklammerung ein Formelement darstellt, das die Trennschärfe der Figuren untereinander abschwächt, d. h. sie einander annähert. Ihre Konturen werden sozusagen einem Inhalt geopfert, der wichtiger ist als die verschwimmenden Unterschiede der FIguren. Wenn beispielsweise Marie selbst sagt: "Ich könnt mich erstechen", dann baut der Autor hier die Spannung zwischen den Figuren bewusst ab. Wie man diese Form interpretiert, ist dann Ansichtssache, aber man könnte z. B. auf die Idee kommen, dass es um ein verdecktes Thema geht, für das die Figuren mehr oder weniger Platzhalter sind.
Funktion der metaphorischen Verklammerung ist nach Volker Klotz die ästhetische Einheit zu unterstützen, die durch die (vermeintlich) offene Form des Dramas ja gefährdet scheint. Wichtiger scheint indessen (und zwingender), dass die Bildketten ursprünglich dazu da sind, die Ebene der verdeckten Rede zu installieren.
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Delinda Boren (Samstag, 04 Februar 2017 22:57)
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