Woyzeck-Fehlinterpretation
Typisch für den dominierenden falschen Interpretationsansatz des Woyzeck-Fragments ist der hier verlinkte 'Helpster'-Artikel mit der Ansage: "Auch wenn das Fragment mit einem Mord endet, kann man diesen nicht als Hauptthema des Stückes ansehen. In vielen Sachtexten herrscht der Konsens vor, dass in Woyzeck vor allen Dingen die Armut des einfachen Volkes dargestellt wird. Zwar ist der Protagonist Woyzeck durch den Mord klar ein Täter, doch durch die Mittellosigkeit und die erlebten Demütigungen wird er vom Leser zugleich auch als Opfer wahrgenommen. Daher spricht man in diesem Zusammenhang auch von einem sozialen Drama."
Grundlage für jeden Interpretationsansatz hat eine Formalanalyse zu sein. Die Form von Georg Büchners Dramenfragment besteht im wesentlichen aus der von Volker Klotz 1960 beschriebenen "metaphorischen Verklammerung", die in dem Mordkomplex ihren Kulminationspunkt findet. Woyzecks Armut und die von ihm erfahrenen Demütigungen seitens des Hauptmanns und des Doktors sind indes gerade kein bedeutsamer Teil der metaphorischen Verklammerung bzw. Bildkettenstruktur. Im ersten Handschriftenentwurf, in dem der Mordkomplex ausgeführt wird, treten die genannten Nebenfiguren überhaupt nicht auf. Dagegen gibt Woyzeck trotz seiner Armut später Geld für ein Messer aus, obwohl er selbiges beim Stöcke-Schneiden in der ersten Szene bereits als Dienstwaffe besitzt, ein Narr tritt auf, der in einem Sozialdrama überhaupt nichts verloren hat und am Ende findet Woyzeck schönes "Gold" in der Bibel seiner Mutter. Eine sorgfältige Interpretation hat daher zu prüfen ob Woyzecks 'Armut' nicht auch symbolisch gemeint sein kann, als seelische Armut, genauso wie die Spiegelscherbe, in der sich Marie betrachtet, nicht nur materiell zu verstehen ist, sondern gleichzeitig auch symbolisch.
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