Für Lehrer

Brief an SWR 2: Woyzeck - Handreichung für den Unterricht

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Larisika,

Ihre hohen Ansprüche an die Hörspielproduktion von Klassikern und den dazugehörigen Handreichungen sind im Falle der Woyzeck-Bearbeitung von Christian Larisika leider nicht im mindesten eingelöst worden. Der Text ist nicht nur hinsichtlich der Szeneneinteilung veraltet, sondern er zeugt auch von fehlendem ästhetischen Verständnis für Büchners bedeutsames Werk, allerdings trifft das auch für die Woyzeck-Rezeption überhaupt zu, beispielsweise auch für Werner Herzogs Woyzeck-Film. Gleichwohl kann von einer beispielhaften Umsetzung verlangt werden, dass sie sich eigene Gedanken macht und auf der Höhe der – in diesem Fall – klassischen Theorie ist. So spielt für Literatur die (innere) Form die Hauptrolle, daher ist diese Form des Dramenfragments zu vermitteln, insofern sie für den Inhalt maßgeblich ist, unabhängig davon, was der Autor Büchner an anderer Stelle mehr oder weniger schlecht gelaunt äußert, bzw. wäre letzteres gegebenenfalls kritisch zu hinterfragen. Die Form des Woyzeck-Dramas ist seit Volker Klotz 1960 zumindest partiell als ‚offene‘ Form identifiziert worden, deren Kern stellt die Bildkettenstruktur oder metaphorische Verklammerung dar. Selbige ist für die Wahrnehmung des Inhalts entscheidend. Im Schulunterricht wäre daher darauf aufmerksam zu machen, dass die ‚Form‘, die metaphorische Verklammerung einen konstruktiven sprachlichen Kern etabliert, der die zeitliche Abfolge der Figurenrede transzendiert. Wenn also die Stimme aus dem Boden Woyzeck dazu auffordert, die Zickwolfin totzustechen und Woyzeck überflüssigerweise aber demonstrativ ein Messer kauft, dann ist im Rahmen dieser metaphorischen Verklammerung Maries Szene (17, S. 7 der Handreichung), in der sie den fatalen Satz ausruft: „Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz“ von eminent doppelter Bedeutung,   nämlich der Stich auch wörtlich zu verstehen, zumindest wäre das zu diskutieren. Desgleichen ist die Rede des Narren nicht „wirr“, er „verwechselt“ nichts, sondern antizipiert die 22. Szene (lt. Handreichung) mit Woyzecks (Blutwurst) vergebliches Bemühen um das Kind (Leberwurst).

 

Wie gesagt, auch die akademische Büchner-Rezeption ist diesbezüglich nicht im Bilde und entsprechend sind es vermutlich auch nicht die Lehrpläne. Nun soll sich Kultur und Wissenschaft aber weniger am Gängigen als an der Wahrheit orientieren, soweit diese zugänglich ist und hilfsweise einen Debattenraum eröffnen und ermöglichen. Dem steht in einem etablierten Kultur- und Schulbetrieb freilich einiges entgegen, das liegt in der Natur der Sache. Im Falle von Einsteins Relativitätstheorie waren es 100% der zeitgenössischen Wissenschaftler. Insofern stößt meine Kritik in ein Wespennest bzw. würde sie es tun, wenn selbiges nicht zugemauert wäre. Gleichwohl böte sich für Mutige hier eine Chance.

Mit freundlichen Grüßen,

Christian Milz

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