Der Begriff "Form"

Impulspräsentation für Schüler

In einem vorangegangenen Impuls hat Herr X über die Biochemie des Gifts von Pilzen und dessen Wirkung auf den menschlichen Körper gesprochen.

Ich werde jetzt einen sprachlichen Text, genauer gesagt einen Begriff analysieren.

Die praktische Anwendung dieser Analyse ist genauso möglich, wie die Verwertung einer Erkenntnis der Naturwissenschaft.

Ich analysiere den Begriff „Form“.

 

Ein Beispiel aus dem Sportteil der Zeitung:

Bayern-Sieg überzeugt Michael Ballack nicht: "Zu viele Spieler auf dem Platz einfach nicht in Form". [1]

Was bedeutet „Form“?

 

 

Wikipedia

Form (lateinisch fōrma: Äußeres, Bild, Figur, Gebilde, Gestalt, Umriss) steht für:

Allgemein

·         äußere Form, Gestalt, Umriss, Wuchs oder Erscheinung von Lebewesen

·         bildende Kunst und Kunstwissenschaft: Form (Kunst), äußere Gestalt, Gestaltungsform eines Kunstwerks

·         Literatur: Literaturform, siehe Gattung (Literatur)

·         Musik: musikalische Form, siehe Formenlehre (Musik)

Sport

·         Form (Kampfkunst), feststehender Bewegungsablauf

·         Fitness, körperliche Verfassung eines Menschen („in Form sein“)

Wissenschaft

·         Form (Algebra) (Mathematik), Sorte von Polynomen

·         Form (Biologie), in der biologischen Systematik niedere Einheit, die der Art untergeordnet ist

·         Form (Philosophie), Endzustand, den das Veränderte annimmt

 

Wikipedia liefert keine Definition von „Form“, sondern Zirkelschlüsse oder Paraphrasierungen: „‘Form‘ ist äußere Form, Gestalt“.

Friedrich Schiller bestimmt den Begriff folgendermaßen: „Die Verbindung der Mittel, durch die [etwas] seinen Zweck erreicht, heißt seine Form. Zweck und Form stehen also in einem genauesten Verhältnis.“[2]

Der Begriff ‚Form‘ führt dazu, den Blick auf die Mittel und deren Verbindung zu richten.

Gegen: „der Zweck heiligt die Mittel“ setzen wir: „Die Mittel sagen etwas aus über den Zweck“.

Ist die Form der Mittel polemisch, wird der Zweck wohl kaum vernünftig sein. Desgleichen wenn versucht wird, Ziele durch Versprechen, Bestechung, Einschüchterung und Erpressung zu erreichen.

 

Wird die Form der Mittel zu einer Erzählung, einem sogenannten Narrativ, dann ist solch eine Erzählung mit den Mitteln der Interpretation zu analysieren und nicht einfach zu glauben.

Der Siegeszug der Naturwissenschaften wurde durch die rein logische Sprache der Mathematik möglich. Es kann nur mitreden, wer diese Sprache beherrschte.

Im Bereich des Qualitativen und der Ethik kalkulieren wir weitgehend mit Alltagssprache – und sozusagen mit römischen Zahlen.

 

Was in den Naturwissenschaften die Formel ist, das ist in der Geisteiswissenschaft die Form.

Sie stellt eine Funktion ihrer Teile dar. Aber die Verbindung erfolgt nicht nach den mathematischen Gesetzen der Naturwissenschaft sondern nach Regeln der Geisteswissenschaft. Diese schließen das Irrationale ein.

Das besagt: Emotionen sind zu berücksichtigen, folgen aber eigenen Regeln und sind als solche anders zu behandeln und zu bewerten als logische Operationen.

 

Vielleicht habt ihr schon einmal den Satz gehört, dass das Ganze mehr sei, als die Summe seiner Teile.

Er stammt von dem Philosophen Aristoteles.

„Das, was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet – nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe –, das ist offensichtlich mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile.“[3]

 

‚Form‘ ist „die Verbindung der Mittel zu einem Zweck“, ist aber mehr als die Summe der Mittel. Deswegen ist die genaue Bestimmung des Begriffs „“Form“ oder „Nicht-Form“ beispielsweise im Hinblick auf Sportler so schwer, so dass selbst Wikipedia hier nicht weiter weiß.

Als Form gilt im Sport grob gesagt die Verbindung von körperlicher Fitness mit mentaler Fitness … plus X. – Wofür steht dieses ‚X‘?

Dass wüssten die Fans der Sportwetten auch gerne.

 

Schiller: ‚Form‘ beinhaltet die Aufhebung der Zeit.[4] Technisch gesprochen stellt ‚Form‘ einen Grenzwert dar, der Raum und Zeit transzendiert.

Zweck der Mannschaft von Bayern München, wie der aller Bundesliga- Mannschaften, ist zu spielen, Fußball zu spielen.

Das ist im Idealfall mehr als gewinnen. Oder anders gesagt: Das Publikum verbindet mit einem Sieg Gefühle, die das rein Sportliche weit übersteigen.

 

Gegenstand des Spiels ist, die Zeit in der Zeit aufzuheben.

Publikum und Sportreporter sind zwar unter Umständen auch mit einem „Arbeitssieg“ zufrieden.

Was sie sich erhoffen, sind ‚magische Momente‘ der Verdichtung und Aufhebung von Zeit. ‚Blindes Verstehen‘, ‚tödliche Pässe‘, Torinstinkt.

 

 

Fußballspieler, die das repräsentieren, vergöttern wir.

„Messi wie von einem anderen Stern“.[5]

Bundesliga-Mannschaften haben die gleiche Funktion wie die Stadtgötter der alten Griechen.

‚Form‘ bezeichnet die potenzielle körperliche und mentale Bereitschaft, Inspiration empfangen und umsetzen zu können.

 

Form ist daher etwas Höheres als körperliche und mentale Fitness.

Deswegen ist der Sportsfreund gegebenenfalls in Form. Gegebenenfalls ist er ein Ereignis und sorgt für ein Erlebnis. Manchmal als Verbindung aus Ekstase und Tragödie.

 

26. Mai 1999, gegen 22 Uhr 45. Im größten Fußballstadion der Welt, Nou Camp in Barcelona, läuft die 90.Minute des Champion-League Finales zwischen Manchester United und Bayern München.

Seit der 5. Minute führen die Bayern 1:0. Mario Basler ist genauso in Form wie der Angriff der Bayern. Basler schießt kurz vor dem Strafraum den Freistoß, die bayerischen Angreifer sorgten für das Loch in der Mauer der Verteidigung. Beides perfekt koordiniert. 

 

Die Bayern sind das ganze Spiel drückend überlegen, bei Manu fehlen die zwei Stars im Sturm, die beiden Treffen in der Gruppenphase waren mit ihnen nur unentschieden ausgegangen.

In der 81. Minute schickt David Beckham den Chef der Bayern-Verteidigung Lothar Matthäus per Foul auf die Ersatzbank.

Der Coach von Manu wechselt kurz vor Schluss noch einmal aus und bringt zwei neue Stürmer.

 

In der 91. Minute entfernt ein Uefa-Mitarbeiter hastig die gerade angebrachten Bayern-München-Bänder von der Siegertrophäe. Der 1:1 Ausgleich ist gefallen.

Sheringham und Solskjaer, wie auch Beckham, der die beiden letzten Eckbälle tritt, sind in Form.

In 102 Sekunden drehen sie (durch perfekte ‚Abstauber‘) das Spiel zu einem 2:1 für Manchester United.

 

Was 90 Minuten lang nicht funktioniert, gelingt in zwei Minuten. Statt Nervosität und Hektik höchste Verdichtung.

Im Nachhinein spricht man aus der Perspektive der Bayern von der „Mutter aller Niederlagen“. Manchester United hat dagegen „das gelobte Land erreicht“.

Die Queen schlägt Alex Ferguson, den Trainer von ManU, zum Ritter.

 

Spektakuläre Tore, insbesondere in Verbindung mit perfekten Kombinationen, veranschaulichen die Faszination des „In-Form-Seins“ und locken jede Woche Hundertausende in die „Kathedralen“ des Sports.

Normalerweise versuchen wir das „Aufheben der Zeit in der Zeit“ durch Schnelligkeit.

Auf der Autobahn, im ICE oder im Flieger.

Wenn wir ‚in Form‘ sind, heben wir die Zeit spielend auf.

 

 Aber, liebe Fans des ‚Zockens‘ mit Handy und Computer 😊:

Schiller sagt zwar: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“;

Schiller sagt aber auch: „Der Mensch spielt nur da, wo er ganz Mensch ist. Was vor dem Bildschirm nicht wirklich der Fall sein dürfte.

 



[1] Sportredaktion RND

30.04.2023, 22:31 Uhr

[2] Über die tragische Kunst, Werke V, München 163.

 

[3]  Metaphysik VII 17, 1041 b

[4] 14. Brief der Ästhetischen Erziehung.

[5] https://de.uefa.com/uefachampionsleague/news/01e4-0e7448929b1e-c1dde4827528-1000--messi-wie-von-einem-anderen-stern/