Sterbende Kinder sehen keinen Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –
„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ –
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. –
„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ –
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. –
„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ –
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –
Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
FIEBER ???
Aus der Sterbeforschung weiß man, dass im Sterben liegende Kinder nicht von einem Erlkönig vergewaltigt, sondern von bereits vor ihnen gegangenen liebevollen Verwandten oder anderen hilfreichen Wesen abgeholt werden.
Desgleichen sind in den Kinderzeichnungen dieser Kinder keine Erlkönige, sondern um sie selbst eine helle Aura bzw. Engel usw. zu erkennen.
Die Ballade bezieht sich auf menschliche "Erlkönige" und den seelischen Tod von sexuell missbrauchten Kindern sowie daran schuldigen oder mitschuldigen Eltern.
Auch wenn die Erlkönige immer wieder beteuern, "uns gibt es nicht". In diesem Fall spricht sozusagen der besagte Vater.
Das ist keine "Interpretation", sondern - siehe das Fettgedruckte - ein wörtlicher Bestandteil des Textes.
Das man darauf nach über zwei Jahrhunderten der Rezeption noch hinweisen muss, ist eine Schande und eine Blamage.