Michael Titzmann: Interpretionsregeln

Aus: Michael Titzmann: Strukturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation, 3. unver. Aufl. München 1993.

 

Zusammengestellt und um Anmerkungen/Thesen ergänzt von Christian Milz.[1]

[Zitat (Z) 1] „Abgesehen davon, dass man etwa von einer Literaturwissenschaft doch wohl verlangen kann, die Leistungsfähigkeit ihrer Theorien und Methoden durch einigermaßen befriedigende Rekonstruktionen der Bedeutung von Einzeltexten gelegentlich unter Beweis zu stellen, ohne permanent vor dem Text selbst in Erörterungen über seinen jeweils historischen Kontext oder in theoretische Grundatzdiskussionen auszuweichen, abgesehen davon also, stellt solche Einzelanalyse praktisch den einzig möglichen Test der jeweils verfügbaren Textanalyse dar.“ (18)

[Z. 2] „Die Interpretation des Einzeltextes ist also die methodische Basis jeder Untersuchung von Texten, unter welcher Fragestellung auch immer sie betrachtet werden sollen, und die letzte Instanz der Verfifikation oder Falsifikation solcher Untersuchungen. (19)

[Z. 3] „Bestreitet man der Textanalyse jene Verifizierbarkeitbzw. Falsifizierbarkeit, die man üblicherweise von wissenschaftlichen Aussagen verlangt, d. h. leugnet man die Anwendbarkeit der Prädikate „wahr“/“richtig“ bzw. „falsch“ auf interpretatorische Aussagen, kann es zwar auch keine Interpretationsregelen geben – aber dann sind auch die Disziplinen, die sich mit semiotischen Objekten befassen, keine Wissenschaften, sondern haben unrechtmäßig einen Platz an den Universitäten usurpiert, und die Mitglieder derselben gehen auf Kosten der Gesellschaft einem – zwar für sie möglicherweise vergnüglichen – Hobby nach.“ (20)

[Z. 4] „Textanalyse ist schwierig und langwierig – nicht zuletzt deshalb weicht man wohl so gern vor ihr in allgemein theoretische und historische Fragestellungen aus.“ (27)

[Z. 5] „Jede Analyse eines Textes, ob sie es weiß oder nicht, macht Aussagen über das logisch-semantische Schema, über die paradigmatisch-semantische Ordnung; jede Analyse jedes beliebigen Lesers abstrahiert z. B. von der Oberfläche des Textes irgendwelche Kategorien, die in solchen paradigmatischen Relationen stehen. (165)

[Z. 6] „Vielleicht kann man generell formulieren, dass es weniges gibt, was täuschender ist als der Eindruck der Einfachheit von Texten. (192)

[Z. 7] „Die Operation der Ableitung von Propositionen aus einem Text ist im Grunde ein Akt der Übersetzung, bei dem ein zweiter Text entsteht, der dem ersten, im besten Falle, hinsichtlich des Informationsgehaltes äquivalent ist. Jakobson hat sogar den für die Hermeneutik so zentralen Begriff des „Verstehens“ als eine solche Übersetzungsoperation interpretiert, bei der ein System von Zeichen nach bestimmten Regeln in ein anderes System von Zeichen transformiert wird. (222)

[Z. 8] „Dass sich die Deutungen der Texte verändern, kann niemals heißen, dass sich ihre Bedeutungen verändern. (227)

[Z. 9] „Was nicht zum synchronen Wissen einer Kultur gehört, ist ohne Interesse für die Analyse der Texte dieser Kultur.“ (270)

[Z. 10] „Man muss darauf bestehen, dass die Erforschung der Rezeption von der Erforschung des Textes unterschieden wird. (228)

[Z. 11] „Wir haben – im Unterschied zu manchen derzeitigen Verwendungen der Begriffe – Text-Analyse und Interpretation als Synonyme gebraucht, weil uns scheint, dass hier zu differenzieren, allzu leicht damit äquivalent gesetzt werden kann, zugleich die Legitimität heterogener Konzeptionen einzuräumen. Text-Analyse bedeutet in unserem Sprachgebrauch ungefähr: Rekonstruktion einer dem Text zugrund liegenden Ordnung.“ (381)

[Z12] „Unserem Postulat zufolge gibt es zum jeweiligen Zeitpunkt genau eine optimale TA eines gegebenen Textes. (381)

[Z. 13] „Potentiell kann also eine nicht strukturale Arbeit ebenso gut oder gar besser sein, als eine strukturale. (383)

[Z. 14] „Nun waren sich freilich mindestens die hervorragenden Vertreter [der „immanenten“ Interpretation] durchaus darüber im klaren, dass sie keineswegs nur textinterne, sondern auch textexterne Daten bei der Interpretation verwendeten, freilich haben sie für diese Praxis nie Regeln und Normen formuliert, sondern, hier und sonst, an Intuition und subjektive Evidenz appeliert, weshalb man denn auch von einer „Kunst der Interpretation“ reden konnte. So irrational und regellos, wie sich sich gelegentlich gebärdet, kann sie freilich nicht gewesen sein; denn immerhin war sie offenkundig erlernbar. Wir würden jedenfalls behaupten, dass es eine „Immanenz“ im oben angedeuteten Sinne überhaupt nicht geben kann. (383f)

1)       Keine TA kann „textimmanent“ sein im Sinne der Voraussetzungslosigkeit, da jede auf einer bestimmten Menge an Voraussetzungen basiert; denn sie verlangt

a)        die Kenntnis des primären Zeichensystems, dessen sich der Text bedient.

b)       eine bestimmte Menge von Kenntnissen über die Kultur, der der Text angehört, d. h. deren Normen, Kodes und sonstige Systeme; zwar kann der Text auch ohne solche Kenntnis bis zu einem bestimmten, und gelegentlich auch sehr hohen, Grade interpretiert werden, doch bleiben bestimmte Daten uninterpretierbar und andere können nur partiell interpretiert werden.

c)        eine bestimmte Menge von Begriffen zur Beschreibung des Textes und eine bestimmte Menge methodischer Verfahren, d. h. eine rudimentäre oder ausgebaute, implizierte (nicht bewusste, geleugnete, nicht erläuterte, ….) oder explizierte Theorie.

d)       eine bestimmte Menge von Fragestellungen, die man, wie auch immer man zu ihnen gelangt sein mag, an den Text heranträgt und sich an Hand seiner zun beantworten versucht; der Text selbst „spricht“ in gar keinem Falle – und schon gar nicht ungefragt.

2)       Jede TA muss „textimmanent“ sein in dem Sinne, dass

a)        Die Daten des Textes die Basis der Verfifikation/Falsifikation jeder interpretatorischen Hypothese sind.

b)       Eine an Hand textinterner Daten bestätigte interpretatorische Hypothese niemals aufgrund textexterner Daten falsifiziert werden kann.

c)        Die Relevanz textexterner Daten für eine Analyse aufgrund textinterner Daten nachgewiesen werden muss. (384f)

 

   IR                                                                                                                                                                                       Seite

1a

Interpretatorische Aussagen müssen eindeutig intersubjektiv verstehbar sein.     

 21

  b

                           ~                                      widerspruchsfrei sein.

 22

  c

                           ~                                      unmittelbar oder mittelbar empirisch                

                                                                   nachprüfbar, d. h. verifizierbar bzw. falsifizier-

                                                                   bar sein

 22

 2

Von zwei divergierenden und auf denselben Daten basierenden interpretatorischen Aussagen ist mindestens eine falsch, wenn nicht gar beide.

 25

 3

Wenn eine Text partiell divergierende Interpretationen erlaubt, ist zwar die Interpretation schon richtig, die diese Tatsache feststellt; befriedigend ist aber nur die, die diese divergierenden Bedeutungen als funktionale Elemente einer dritten

und übergeordneten Bedeutung zu korrelieren vermag.

 25

 4

Jede (befriedigende) Text-Analyse ist ein System von Hypothesen über den „Text“, die untereinander korreliert und hierarchisiert sind und auf möglichst einfache Grundhypothesen zurückgeführt werden.  (= Theorie bzw. Modell eines „Textes“.)

26

 5

Jede Analyse eines Textes umfasst einen Akt der Zerlegung in Segmente und davon abstrahierte Klassen und einen Akt der Zusammensetzung durch Korrelierung und Hierarchisierung dieser abgeleiteten Klassen.

27

  6

Das Individuelle ist genau insoweit beschreibbar, als es als Durchschnitt verschiedener allgemeiner Klassen, denen es gleichzeitig angehört, beschreibbar ist.

 28

 7

Jede Text“-Analyse ist gegenüber der Datenmenge des Textes selektiv.

 29

 8

Jede Selektion aus den Daten des Textes, die die Analyse vornimmt, muss im Prinzip rechtfertigbar sein.

29

 9

Jedes Modell eines Textes, das die Analyse erstellt, ist eine Idealisierung.

 30

10

Interpretierbar ist jede und genau jede Größe eines Textes, zu der eine Alternative existiert.

 87

   a

Für die Analyse der Bedeutung einer Text-Größe ist nur das System von Alternativen relevant, das in der Kultur, der der Text angehört, realisiert oder gedacht wird.

 88

   b

Die Analyse einer Text-Größe im Rahmen einer dieser Kultur unbekannten Systems von Alternativen interpretiert dann nicht den Text, sondern die Kultur, der er angehört.

 88

 11

Die Text-Analyse sucht diejenigen Kategorien, die als relevante semantische Terme des je individuellen Textes oder Text-Korpus fungieren.

 93

 12

Die Rekonstruktion der Zwischenglieder zwischen der semantischen Kategorie (Ausgangsglied) und den Semen (Endglieder) d. h. die Auflösung n-gliedriger Klassifikationen in binäre, ist nur dann notwendig, wenn diese unausgesprochen logisch vorausgesetzten Zwischenglieder ihrerseits in der Kultur bzw. dem Text „funktionalisiert“ sind.

103

 13

Korrelation von Termen durch einen Text ist einer Aufforderung zum Vergleich ihrer Merkmale äquivalent.

111

 14

Die Text-Analyse muss davon ausgehen, dass der Text – auf welche Weise auch immer, auf welcher strukturellen Ebene auch immer – eine „logisch-semantische Kohärenz“ aufweist.

185

 15

Bei „bildhaft“-rhetorischen Formulierungen ist erstens der substituierte „eigentliche“ Term und die Menge seiner Merkmale zu rekonstruieren, zweitens die Menge der Merkmale und Voraussetzungen des substituierenden „uneigentlichen“ Terms festzustellen, drittens die Relation zwischen den Merkmalen der beiden Terme zu analysieren, viertens nach der Funktion des jeweiligen (z. B. metaphorischen, synektochischen, …) Substitutionstyps zu fragen.

190f

16

Die Text-Analyse muss davon ausgehen, dass alle wahrnehmbaren Text-Daten bedeutungstragend/sematnisiert sind.

Aus der Tatsache, dass ein Interpret einem bestimmten Datum keine Bedeutung zuordnen kann, folgt nur, dass ihm nichts (Nachweisbares) eingefallen ist, - nicht aber, dass das Datum keine Bedeutung habe. Diese Behauptung könnte überhaupt erst bei totalem und abgeschlossenem Wissen, d. h. am Ende aller Tage, aufgestellt werden: bis dahin aber müssen wir annehmen, dass alle Daten eine Bedeutung haben, wenn wir sie in bestimmten Fällen auch nicht finden. (Natürlich können  wir sagen, dass relativ zu unserem Wissenschaftsstande ein Term keine Bedeutung zu haben scheint. 191)

191

17a

Die Text-Analyse muss davon ausgehen, dass der Text widerspruchsfrei ist, d. h. annehmen, dass jeder auftretende Widerspruch nicht irreduzibles Signifikat, sondern selbst bloß Signifikant ist.

191

17b

Die Text-Analyse muss also versuchen, aus jedem Widerspruch zweier Terme einen dritten Term zu folgern, der selbst mit keinem anderen Term des Textes in Widerspruch steht.

192

18a

Wenn eine syntagmatische Stelle durch mehrere Propositionen semantisch befriedigend interpretiert werden kann, dann gilt keine dieser Teilpropositionen, sondern nur die komplexe Proposition, die alle möglichen Teilpropositionen und aller unter diesen logisch mögliche Kombinationen umfasst, als logisch aus dieser Stelle ableitbar.

198f

18b

Eine (oder mehrere) dieser alternativen hypothetischen Teilpropositionen kann ausgeschlossen werden, wenn aus dem textinternen oder textexternen Kontext eine (oder mehrere) nachweisbare Propositionen abgeleitet werden können, die dieser Teilproposition logisch widerspricht.

199

18c

Falls der textinterne oder textexterne Kontext keine Entscheidung zugunsten einer der alternativen Teilpropositionen erlaubt, die die komplexe Proposition umfasst, gilt nur diese komplexe Proposition ihrerseits als Basis weiterer interpretatorischer Folgerungen, d. h. die weitere Analyse hat diese Unentscheidbarkeit selbst zu interpretieren und darf nicht willkürliche Wahl zwischen den Teilpropositionen treffen.

199

18d

Die Text-Analyse kann natürlich trotzdem sinnvoll und zu Recht untersuchen, welche weiteren Folgerungen sich bei Annahme jeder einzelnen der Teilpropositionen ergäben, d. h. sich dann ergäben, falls entweder eine entscheidendes Kriterium zugunsten dieser Teilproposition existierte oder sie nicht Teilproposition, sondern einzig aus dieser Stelle ableitbare Proposition wäre.

199

19

Aus der Struktur eines (Terms eines) Systems lässt sich nicht eindeutig die Funktion (des Terms im System/des Systems in seiner Umwelt, d. h. in dem ihm übergeordnetetn) System erschließen; und umgekehrt kann aus einer gegebenen Funktion in einem System nicht die Struktur des die Funktion besetzenden Terms/Teilsystems abgeleitet werden.

220

20

Die Analyse eines Textes oder Korpus von Texten (ob diese nun untereinander in der Relation der Synchronie oder in der Diachronie stehen) muss sowohl die kontextuell invarianten als auch die kontextuell variablen semantischen Funktionen der im Text/Korpus von Texten wiederkehrenden Terme oder Klassen von Termen untersuchen.

221

21

Bei allen syntagmatischen Stellen von Texten, deren logisch-semantische Kohärenz nicht „einsehbar“ ist, d. h. die „schwierig“ oder „dunkel“ scheinen, ist die Menge der aus ihnen ableitbaren Propositionen abzuleiten und die Menge der aus diesem logisch, mit oder ohne Zuhilfanahme zusätzlich oder gesicherter Prämissen, deduzierbaren sekundären, …. usw. Propositionen zu folgern.

224

22a

Wenn aus unmittelbar an der Text-Oberfläche beobachtbaren oder aus von dieser gemäß den wissenschaftftheoretischen Regeln ableitbaren Strukturen ein weiterer Term oder eine Relation zwischen Termen gefolgert werden kann, so dass die Folgerung erstens den Regeln der geltenden Logik genügt und zweitens von keiner unmittelbar nachweisbaren Text-Struktur ausgeschlossen wird, dann ist diese Folgerung zu ziehen, mag sie auch noch so befremdlich erscheinen.

225

22b

Alle im Text im Sinne von 22a angelegten und logisch möglichen Folgerungen sind vom Text zugelassen und gehören zu seiner Bedeutung.

225

23‘

Die Text-Analyse muss die Frage beantworten, warum eine aus dem Text ableitbare Proposition in einem bestimmten Modus/einer bestimmten Perspektivierung gegeben ist, d. h. diesen Modus/diese Perspektive möglichst als determiniert erweisen.

228

23‘‘

Wenn von den relevanten Termen der paradigmatischen semantischen Ordnung entweder ein Term an verschiedenen syntagmatischen Stellen in verschiedenen Modalitäten auftritt oder der eine von zwei (oder mehreren) nachweisbar korrelierten Termen in der einen, der andere (oder die anderen) in einer anderen Modalität gegeben ist, dann ist diese Differenz der Modi zu interpretieren, d. h. ihr ist möglichst eine semantische Funktion zuzuordnen, d. h. es sind semantische Terme zu suchen, die diese Verteilung determinieren.

228f

24

Alle Terme, die einem Term an einer syntagmatischen Stelle So, als Prädikate zugeordnet werden, d. h. als Präpositionen über diesen Term, die aus dieser Stelle abgeleitet werden können, gelten als wahr für diesen Term auch an jeder beliebigen, in der syntagmatischen Folge späteren Stelle Sx, sofern nicht aus Sx oder einer zwischen So und Sx liegenden Stelle Si eine Proposition abgeleitet werden kann, die eines dieser Prädikate für diesen Term negiert.

243

25a

Bei der Analyse von Nullpositionen ist möglichst genau zu spezifizieren, bezüglich welcher Klassen möglicher Sachverhalte sie überhaupt vorliegen.

245

25b

Nullpositionen sind wie andere Terme zu interpretieren; es muss versucht werden, ihnen aufgrund ihrer spezifischen Struktur und ihrer kontextuellen Position eine semantische Funktion/Bedeutung zuzuordnen.

245

25c

Wenn Nullpositionen aufgrund weiterer textexternen Daten nachweisbar und eindeutig aufgefüllt werden können, dann ist diese Auffüllung vorzunehmen.

245

25d

Nicht in diesem Sinne auffüllbare Nullpositionen dürfen nicht durch Assoziationen/Konnotationen des Interpreten beseitigt werden.

245

25e

Ob eine Nullposition auffüllbar ist oder nicht, und wenn sie es ist, in welchem Ausmaß und mittels welcher Art von Daten sie aufgefüllt werden kann, stellt seinerseits ein interpretierbares Datum dar.

245

26

Jeder Text präsupponiert pragmatisch die – oder doch eine minimale – Kenntnis seines primären Zeichensystems, d. h. eine Kompetenz des Rezipienten bezüglich der syntatkischen, semantischen, pragmatischen Regeln des semiotischen Systems, mittels dessen der Text formuliert ist.

264

27a

Jeder Text präsupponiert pragmatisch das kulturelle Wissen der Kultur, der er angehört.

268

27b

Eine Menge X kultureller Propositionen einer Kultur A, der der Text nicht angehört, kann für dessen Analyse nur und allenfalls insoweit relevant sein, als das Wissen der Kultur B, der der Text angehört, auch Wissen über das Wissen von A, d. h. eine Menge Y kultureller Propositionen über X, umfasst.

269

27c

Wissen über die genetisch-historische Herkunft eines übernommenen kulturellen Wissens oder Wissen über die ursprünglichen Bedeutungen von Elementen, die aus einer anderen Kultur übernommen sind, kann nur und allenfalls interpretatorisch relevant wertden, wenn es zugleich dem Wissen der synchronen Kultur des Textes angehört.

270

27d

Nur die Teilmenge kulturellen Wissens kann als zusätzliche Prämisse der Text-Analyse verwendet werden, die nachweisbar für den jeweiligen Text oder seine jeweilige syntagmatische Stelle relevant ist.

272

28a

Was bei hinreichender Kenntnis des Zeichensystems und bei Einhaltung der minimalen wissenschaftstheoretischen Regeln amText nachweisbar ist, kann durch Wissen über extratextuelle Daten weder bestätigt noch widerlegt werden.

275

28b

Jede aufgrund hinreichender Kompetenz bezüglich des Zeichensystems unter Einhaltung der je geltenden methodologisch-theoretischen Regeln am Text nachweisbare interpretatorische Behauptung ist unter allen Umständen richtig; und

277

28c

Nachweisbar für eine Text-Stelle relevantes kulturelles Wissen kann eine korrekt vorgenommene Text-Analyse nur im Sinne einer Ergänzung modifizieren, insoweit dieses Wissen die Ableitung weiterer interpretatorischer Folgerungen erlaubt, die aufgrund der Sprachkompetenz und der beobachtbaren Text-Daten allein nicht gezogen werden können.

277

29a

Kulturelle Propositionen des Typs „x und y sind a“ sind in zwei Propositionen „x ist a“ und „y ist a“ zu zerlegen.

290

29b

Kulturelle Propositionen des Typs „x ist a und b“ können in zwei Propositionen „x ist a“ und „x ist b“ zerlegt werden.

290

29c

Alle nicht-elementaren kulturellen Propositionen sind, soweit irgend möglich (d. h.: logisch zulässig, ohne dass ihre Bedeutung verändert würde), in elementare Propositionen zu zerlegen.

290

29d

Für die Umformulierung oder Zerlegung kultureller Propositionen gelten die Regeln, die die formale Logik implizit beim Umgang mit normalsprachlichen Sätzen beachtet.

290

29e

Was von Zerlegung/Umformulierung kultureller Propositionen gilt, gilt natürlich analog auch für die textuellen Propositionen (und umgekehrt).

291

29f

Kulturelle Propositionen, die in eine logisch äquivalente Menge von Propositionen umformuliert werden können, welche (potentiell) relevant sind, sollen selbst als (potentiell) relevant gelten.

291

30

Kulturelles Wissen, das für eine syntagmatische Stelle potentiell relevant ist, kann legitim in die Text-Analyse einbezogen werden, sofern der Unterschied im Status der aufgrund seiner möglichen Folgerungen zu denen, die allein auf Text-Daten oder auf faktisch relevantem Wissen basieren, nicht übersehen wird; denn die letzteren sind tatsächlich nachweisbare Bedeutungen, die ersteren aber nur – falls nicht das potentiell relevante Wissen faktisch relevant wird – objektive Konnotationen.

 

31

Erst wenn wir das kulturelle Wissen zu einem Sachverhalt X kennen, können wir entscheiden, ob es und in welchem Umfang es für eine Textstelle faktisch oder potentiell relevant ist.

319

32

„Problematische Hypothesen“ sollen nur dann zugelassen sein, wenn erstens im Prinzip angegeben werden kann, durch welche Klasse von Daten sie bestätigt oder widerlegt werden können und wenn zweitens diese Klasse von Daten im Prinzip zugänglich ist.

322

33a

Allgemein kulturelles Wissen kann von der Text-Analyse immer verwendet werden, sofern es die Bedingungen faktischer oder potentieller Relevanz für mindestens eine syntagmatische Stelle erfüllt.

324

33b

Sekundär faktisch relevantes Wissen kann auch dann in die Text-Analyse einbezogen werden, wenn es gruppenspezifisch ist.

325

33c

Wissensgruppen, die gruppenspezifisch sind, aber die Bedingungen faktischer oder potentieller Relevanz für einen syntagmatische Stelle erfüllen, können in die Text-Analyse einbezogen werden, wenn die Text-Struktur sie selbst als anwendbar selegiert.

326

33d

Wenn ein Text eindeutig einer Menge gruppenspezifischen Wissens zugeordnet ist, dann kann die Text-Analyse das dieser Gruppe spezifische Wissen einbeziehen, wenn es für eine Stelle potentiell oder zwar primär faktisch relevant ist, aber nicht vom Text bestätigt wird.

 

33e

Wenn ein Text eindeutig einer Menge gruppenspezifisches Wissen zugeordnet ist, aber innerhalb dieser Gruppe bezüglich bestimmter Sachverhalte, die für mindestens eine syntagmatische Stelle eine Rolle spielen, zwei verschiedene Teilgruppen mit spezifischem Wissen existieren, dann dürfen diese teilgruppenspezifischen Wissensmengen in die Analyse als objektive Konnotationen einbezogen werden.

327

33f

Wenn ein Text einer Menge gruppenspezifischen Wissens eindeutig zugeordnet ist, aber in einer dieser Gruppe eine Teilgruppe mit spezialisiertem Wissen existiert, das das Kriterium primär faktischer oder potentieller Relevanz für eine syntagmatische Stelle erfüllt, dann darf nur das je allgemeine und unspezifische Wissen der Gesamtgruppe in die Analyse einbezogen werden (sofern keiner der in  IR 33c oder d genannten Fälle gilt).

328

34

Nachweisbarkeit von Strukturen an einem semiotischen oder allgemein soziokulturellen (theoretischen) Objekt erlaubt ohne weitere zusätzliche Daten keinen Schluss darauf, ob diese Strukturen den diese Objekte benutzenden oder in sie implizierenden Individuen „bewusst“ oder „unbewusst“/“nicht gewusst“ sind.

324

35a

Eine aus einem „Metatext“ erschlossene Intention/Selbstdeutung des Autors eines Textes kann die an seinem Text nachweisbaren Bedeutungen weder bestätigen noch widerlegen.

339

35b

Eine aus einem interpretierenden „Metatext“ erschlossene Deutung eines Textes  durch zeitgenössische Rezipienten kann die an dem Text selbst nachweisbaren Bedeutungen weder bestätigen noch widerlegen.

339

36

Kenntnis der Biografie des Autors im allgemeinen, der biografischen Umstände der Entstehung des Textes im besonderen kann nicht als interpretatorisches Argument verwendet werden: sie kann am Text nachweisbare Bedeutungen weder bestätigen noch widerlegen.

339

37a

Wissen über frühere oder spätere „Fassungen“ eines Textes kann am Text nachweisbare Bedeutungen weder bestätigen noch widerlegen.

340

37b

Wissen über andere Texte desselben Autors oder anderer Autoren kann am Text nachweisbare Bedeutungen weder bestätigen noch wiederlegen.

340

38

Eine Reihe möglicher Operationen zur Rekonstruktion der Merkmale, die einem Text-Term zugeordnet sind, bietet die Beantwortung der folgenden Fragen an:

a)       Welche möglichen Bedeutungen/Merkmale kann der Term im verwendeten Zeichensystem haben?

b)      Welchen anderen Termen ordnet der Text dem Term als Prädikat zu bzw. welchen anderen Termen wird er Term selbst als Prädikat zugeordnet? Mit welchen anderen Termen wird er überhaupt auf welche Weise explizit korreliert?

c)       Welche anderen Terme treten (immer) zusammen mit dem Term, d. h. im selben Kontext, also an derselben Stelle oder im selben rekonstruierbaren logischen oder chronologischen Zusammenhang auf? (Kookurrenz von Termen). Welche anderen Terme treten nicht (bzw. nie) zusammen mit dem Term im selben Kontext auf? (Alternanz von Termen/komplementäre Distribution von Termen).

d)      Welche anderen Terme gehen dem Term (immer) in der syntagmatischen Folge oder in einer rekonstuierbaren logischen oder chronologischen Ordnung voraus? Welche anderen Terme folgen (immer) auf ihn?

e)      Welche möglichen Bedeutungen/Merkmale haben solche anderen Terme im verwendeten Zeichensystem? (Anwendung von a auf b, c, d,)

f)        In welche logisch semantische Relation setzt der Text den Term zu solchen anderen Termen, wie sie in b, c, d, e, vorkommen?

g)       Welche kontextuell bedingten Bedeutungen/Merkmale des Terms lassen sich aus den Antworten auf diese Fragen b-f folgern? In welchen Relationen stehen die verschiedenen Bedeutungen/Merkmale des Terms untereinander? Welche Bedeutungen/Merkmale lassen sich wiederum daraus folgern? Usw.

352f

39

Wenn einem Term eine Bedeutung/Funktion zugeordnet werden konnte, ist zu fragen, warum diese Bedeutung/Funktion gerade durch diesen und keinen anderen Term besetzt ist, d. h. welche weiteren Bedeutungen/Funktionen dieser Term in diesem Text evtl. aufweist bzw. erfüllt.

355

40a

Es gibt keine „selbstverständlichen“ Terme im Text: für jeden Term kann nach seiner Bedeutung/Funktion gefragt werden.

355

40b

Fehlen von Bedeutung/Funktion eines Terms gibt Anlass zur Frage nach Bedeutung/Funktion dieses Fehlens.

355

40c

Die Frage nach Bedeutung/Funktion y eines Terms x ist eine rekursive Operation: wenn dem x ein y zugeordnet werden kann, dann kann für y die Frage erneut gestellt werden; auf deren Ergebnis z ist sie wiederum anwendbar, usw.

355

40d

Ein logisches Ende hat der rekursive Prozess der Bedeutungs/Funktionsrekonstruk-tion erst dann, wenn es aufgrund der Text -Struktur keine Antworten auf die Frage mehr gibt. (Faktisch wird man freilich mit der Frage oft sehr viel früher scheitern.)

355

40e

Es gibt im Prinzip keine Bedeutungen, die als „letzte“ Bedeutungseinheiten, als definitive und befriedigende, als selbst keiner weiteren Interpretation mehr bedürftige, als an sich „sinnvolle“, gelten können. (Natürlich kann es in jeder Kultur Klassen von Bedeutungen geben, die diese Kultur als solche „letzten“ Bedeutungen betrachtet.)

356

41

Die TA hat – im Idealfalle – alle (aufgrund irgendeines Kriteriums) relvanten Text-Daten auch dann zu konstatieren, wenn ihnen keine Bedeutung/Funktion zugeordnet werden kann.

357

42

Die TA kann ein beliebiges Text-Datum bzw. eine beliebige Klasse von Text-Daten als Ausgangspunk wählen, sofern die jeweiligen Daten nur „beobachtbar“ sind.

368

43

Die TA hat

a)       Für jeden von ihr einbezogenen Term die Menge der ihm vom Text zugeordneten Bedeutungen/Merkmale/Prädikate zu rekonstruieren.

b)      Die logisch-semantischen Relationen eines (lexikalischen oder semantischen) Terms zu anderen solchen Termen zu beschreiben.

c)       alle aus diesen Ergebnissen logisch möglichen/zulässigen Folgerungen zu ziehen.

368

44

Wenn ein Term x1 hinsichtlich einer Kategorie/Merkmalsklasse Y charaktisiert ist, dann sind auch alle anderen Terme x2, x3, … der Klasse X bezüglich Y zu untersuchen.

369

45

Wenn die TA an Hand einer Reihe von Text-Termen ein Merkmal/einen semantischen Term abstrahiert hat, dann muss sie fragen, ob es eine andere Klasse von Termen im Text gibt, die ebenfalls dieses Merkmal/diesen semntischen Term aufweisen.

370f

46

Verweis auf Determination eines Text-Terms durch formale Zwänge kann nie die Frage nach der semantischen Determination dieses Terms beantworten.

371

47

Solange dem keine anderen Daten des Kontextes entgegenstehen, sind für einen Term einer beliebigen Text-Stelle immer zunächst die Merkmale und Relationen zu anderen Termen anzunehmen, die ihm durch sein Zeichensystem und/oder die Kultur des Textes zugeordnet sind.

372

48

Alle Abweichungen einer Text-Stelle von textexternen (sprachlichen, sonstigen, semiotischen und oder kulturellen) und textintern aufgebauten Standards sind signifikant und bieten sich als Ansatzpunkte interpretatorischer Fragestellungen und Hypothesenbildungen an, ob diese Abweichungen nun in unerwarteten Irregularitäten oder un unerwarteten Regularitäten bestehen.

372

49

Asymmetrische Oppositionen sind in symmetrische Oppositionen aufzulösen: jedem der Terme einer solchen Relation ist die symmetrische Entsprechung des je anderen Terms, d. h. dessen Negation, zuzuordnen.

373

50

Zwei die elementaren wissenschaftstheoretischen Normen erfüllende, somit richtige, aber in je verschiedenen theoretischem Vokabular formulierte, interpretatorische Aussagen zum selben Sachverhalt sind notwendig logisch äquivalent und in einander transformierbar/übersetzbar.

383

51a

Aufgrund der normalsprachlichen Signifikate lexikalischerTerme, bei denen der Kontext der je betrachteten Belegstelle keinen Anlass zu Vermutung abweichenden Gebrauchs gibt, kann die Text-Analyse einen ersten Akt hypothetischer Klassenbildung vornehmen, indem sie das Signifikat in Klassen untergliedert oder einer Klasse eingliedert.

389f

51b

Die Signifikate abweichend gebrauchter lexikalischer Terme muss die TA – soweit dies der Text überhaubt erlaubt – aufgrund ihrer syntaktisch-syntagmatischen Korrelationen mit den normalsprachlichen Termen rekonstruieren. D. h. es ist zu fragen, welche Bedeutung der abweichende Term logisch haben muss, um an dieser Stelle im Kontext auftreten zu können, und ob sich diese Bedeutung direkt oder indirekt über die von ihr ermöglichten Folgerungen bestätigen lässt.

390

51c

Elementare Klassen, d. h. solche, die (wie „menschlich“, „belebt“, „männlich“ usw.) auch syntaktisch-grammatische Folgen in der Sprache des Textes haben, können als selbstverständliche Klassenbildungen beim Analyseanfang betrachtet werden, da sie vom Text nur mit auffälligen Operationen (etwas durch direkte Neutralisierung) aufgehoben werden können, andernfalls aber immer eine Rolle spielen.

390

52

Im Prinzip ist die Wahl der zunächst hypothetisch angenommenen Klassen frei; nur muss natürlich der analysierte Term tatsächlich an diesen Klassen partizipieren.

391

53

Die TA kann in den ersten Schritten hypothetisch solche Klassen annehmen, die in Sprachen/Zeichensystemem und/oder Kultur des Textes eine Rolle spielen, d. h. die ihrerseits in Sprache/Zeichensystem bzw.Kultur unterschiedene und benennbare Signifikate darstellen.

391

54

Bei der Klassenbildung verwendetet Terme des Textes und/oder seiner Sprache bzw. Kultur sind, sofern der Text einen räumlich und/oder zeitlich entfernten Sprach- und Kultursystem angehört, in die Sprache der TA zu übersetzen.

391

55

Wenn die TA zwei (oder mehrere) Terme des Textes vergleichen will, dann muss sie die Mengen der für jeden Term möglichen Klassifikationen rekonstruieren und aus diesen die Klassifikationen auswählen, innerhalb derer die Terme die meisten gemeinsamen Klassen aufweisen.

392

56

Aufgrund der an der Text-Oberfläche durch syntaktische/syntagmatische Verknüpfungen gesetzten Relationen zwischen Termen bzw. ihren Signifikaten sind von Termen/Signifikaten Klassen derart zu abstrahieren, dass die logische Relation zwischen diesen Klassen der Relation zwischen den Termen/Signifikaten, die der Text an die Oberfläche setzt, logisch äquivalent ist.

393

57

Bei Sachverhalten, in deren Darstellung identische oder ähnliche lexikalische Terme (in „eigentlicher“ oder tropischer Verwendung) auftreten, sind gemeinsame (und eventuell auch unterscheidende) Klassen zu suchen: worauf dasselbe Lexikon angewendet wird, das bildet auch unter mindestens einem Aspekt eine gemeinsame Klasse – die Sachverhalte mögen so verschieden sein, wie sein wollen.

393

58a

Eine hypothetische Klassenbildung bestätigt sich, wenn die Klasse(n) derart ist (sind), dass

a)       auch völlig andere Sachverhalte/Signifikate als die, von denen die Klasse abstrahiert wurde, dieser Klasse subsumierbar sind, d. h. in sie untergliedert bzw. in sie eingegliedert werden können (Nichttriviale Rekurrenz).

b)      die Klassenbildung funktionalisiert oder neutralisiert wird.

394f

58b

Eine hypothetische Klassenbildung bestätigt sich, wenn eine zu ihr oppositionelle Klasse bestätigt wird.

395

59

Zu wählen ist die Klassenbildung, die

a)       ökonomisch ist, weil sie bei Annahme möglichst weniger Klassen möglichst viele Text-Daten erfasst.

b)       adäquat ist, weil sie die an der Oberfläche des Textes gesetzten Unterschiede von Termen ebenso wie die Gemeinsamkeiten von Termen abbildet.

c)       fruchtbar  ist, weil sie Folgerungen ermöglicht, die ihrerrseits durch Daten der Text-Oberfläche gestützt werden.

395

60

Sofern die TA an einem oder mehreren Texten nur eine bestimmte (Menge von) Fragestellung(en) untersuchen will, ist das Ausmaß der erforderlichen Spezifizierung bzw. Abstraktion bei der Klassenbildung eine abhängige Variable einerseits der Fragestellung, andererseits der Struktur des Textes.

395

61

Die je für die Text-Semantik relevanten Klassen sind ad hoc zu rekonstruieren und zu benennen.

396

62

Wenn eine bestimmte Menge von Termen einer Klasse subsumiert werden soll, dann ist die Benennung der Klasse so zu wählen, dass die Klasse weder zu eng noch zu weit ist, d. h. alle und nur alle die Terme zusammenfasst, die ihr angehören sollen.

397

63a

Wenn eine Klasse X im Text(-korpus) gesichert und hinreichend rekurrent ist und wenn an Hand einer Teilmenge ihrer Glieder eine Korreltation von X mit einer oder mehreren anderen Klassen Y behauptet wird, dann kann diese Hypothese durch ihren prognostischen Wert getestet werden; andere Teilmengen der Glieder von X müssten ebenfalls und auf dieselbe Weise mit Y korreliert sein.

397

63b

Sofern sich diese Vorhersage nicht erfüllt, ist die Hypothese entweder falsifiziert oder muss modifiziert und spezifiziert werden.

397f

63c

Die Hypothese kann als modifizierte/spezifizierte gehalten werden, wenn gezeigt werden kann, dass es eine oder mehrere weitere Klassen Z gibt so dass ein Term der Klasse X nur genau dann mit Y korreliert (z. B. auch Term von Y ist), wenn er mit Z korreliert (also z. B. auch Term von Z ist). Dann gilt also für die Korreltaion X korr Y nur, wenn auch X korr Z gilt.

398

63d

Wenn die Hypothese in der ursprünglichen oder in der modifizierten Form zutrifft, ist umgekehrt zu fragen, ob nur die Terme Glieder der Klasse(n) Y bzw. Z sind, die auch Glieder von X sind.

398

63e

Wenn sich dabei erweist, dass auch die Glieder einer oder mehrere Klassen U mit Y bzw. mit Z korreliert sind, dann ist X bezüglich Y bzw. Z keine selbstständige Klasse und die Klassen X und U sind insoweit zu einer komplexen Klasse bzw. Oberklasse „X ᴗ U“ zusammenzufassen.

398

63f

Wenn bezüglich Y bzw. Z die Klasse „X ᴗ U“ zu bilden ist, folgt daraus nicht, dass diese Klasse nicht bezüglich einer weiteren Klasse V in ihren Teilklassen X, U zerlegt oder bezüglich einer Klasse W mit einer weiteren Klasse T zu einer neuen Oberklasse „(X ᴗ U) ᴗ T“ zusammengefasst werden kann/muss: sowohl als Teil- oder als auch die Oberklassen einer relevanten Klasse können ihrerseits im semantischen System des Textes relevant sein.

398

63g

Wenn eine Korrelation X korr Y nur gilt, falls auch X korr Z gilt, dann ist zu fragen, ob Y korr Z auch unabhängig von der Korrelation einer der beiden Klassen mit X auftritt.

398

63h

Falls eine Korrelation Y korr Z auch unabhängig von der Korrelation jeder der beiden Klassen mit X auftritt, ist zu fragen, ob bei Y korr Z eine oder beide der Klassen mit weiteren Klassen A korreliert sind und ob X seinerseits jeweils mit A korreliert ist. Usw.

398

64

Gemischt semantisch-pragmatische Begriffe dürfen bei der TA nur dann verwendet werden, wenn ihre Bedeutung in der Kultur des Textes rekonstruiert worden ist und wenn die von dieser Bedeutung geforderten Merkmale/Anwendbarkeitsbedin-gungen vom Text bzw. einer seiner Stellen tatsächlich erfüllt werden.

399

65

Texten, die sich rein syntaktischer semiotischer Systeme bedienen, kann eine (semantische) Bedeutung nur insoweit zugeordnet werden, als diese Systeme mit Hilfe anderer Kodes/Zeichensysteme von der Kultur semantisiert werden.

402

66

Nicht-sprachlichen Texten eine Bedeutung zuzuordnen, heißt, ihnen eine geordnete Menge von Propositionen, d. h. einen sprachlichen Text zuzuordnen.

403

67

Der sprachliche Text, der einem bedeutungstragenden nichtsprachlichen Text als von diesem abgebildet zugeordnet werden kann, ist analysierbar wie jeder andere Text: auf ihn ist alles anwendbar, was für sprachliche Objekte ausgeführt wurde.

403

 

Anmerkungen/Thesen

Anm.1 - Zum „allgemeinen kulturellen Wissen“ gehören alle für einen zu analysierenden Text zeitgenössisch zugänglichen literarischen Werke.

A2 - Zum „allgemeinen kulturellen Wissen“ gehören alle zeitgenössisch bekannten Mythen bzw. Mythlogeme.

A3 - Zum „allgemeinen kulturellen Wissen“ des 18. Und 19. Jahrhunderts gehört gegebenenfalls auch das Wissen um Inzest als literarisches Motiv und Thema.

A3 - Zum „allgemeinen kulturellen Wissen“ gehören gegebenenfalls Friedrich Schillers philsophisch-ästhetische Schriften ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung, unabhängig davon, wie ein zu interpretierender Text sich dazu stellt.

These 1 – Keine der gängigen Woyzeck-Interpretationen und Deutungsansätze, mit Ausnahme der von Christian Milz online und in Buchform vorgelegten Texte, genügt den von Michael Titzmann gestellten Anforderungen an eine wissenschaftliche Textanalyse, unabhängig vom jeweiligen theoretischen Vokabular (vgl. Z.12 und IR 50). Insbesondere verstoßen Büchner-Forschung und -Rezeption gegen folgende Regeln (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

a)       IR  8: Rechtfertigung der Selektion von Textdaten (fehlt generell

im Hinblick auf die Figur des Narren, der inneren Stimme Woyzecks usw.)

b)      IR14: logisch-semantischer Kohärenz des zu analysierenden Textes (Woyzecks Wahnsinn, Märchsprache des Narren usw. wird im Allgemeinen negiert)

c)       IR 15: betrifft die gesamte „metaphorsche Verklammerung“ (Klotz 1960), wobei Klotz im übrigen in seiner Untersuchung Geschlossene und offene Form im Drama gegen IR 43 und IR 60 verstößt, wenn er aus den gewählten Textbeispielen systematisch nur Teilmengen (hinsichtlich einer möglichen „geschlossenen“ oder „offenen“ Form untersucht, ohne die untersuchten Texte als Ganze zu berücksichtigen.

d)      IR16:  s. o.  

e)      IR22a,b: schließt die Büchner-Rezeption die wörtliche Bedeutung von Maries Ausruf: „Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz“ aus.

f)        IR 25 a-e: ignoriert die Woyzeck-Rezeption die Nullpositionen (Leerstelle im ersten Term der Exposition, fehlender Familienname in der Figurenbezeichnung Maries usw.)

g)       IR 27a: stellt die Woyzeck-Rezeption die Allegorien nicht in Rechnung.

h)      IR 35a, 36 (!) und 37 a,b: die politische Einordnung/Selbsteinordnung Büchners, seine Praxis und der Hessische Landbote sind als Metatexte irrelevant für die Woyzeck-Rezeption.

i)        IR37a: frühere Handschriftenentwürfe des Woyzeck-Fragments sind selbstständig als eigene Texte zu interpretieren.

j)        IR 38, 51b: relvant im Hinblick auf Büchners Verwendung der SONNE.

k)       IR 39: relevant im Hinblick auf die Terme „Mutter“ und „Vater“.

l)        IR 40a: das Prädikat „arm“ kann nicht selbstverständlich als „materiell arm“ interpretiert werden.

m)    IR 40e: betrifft die gängige Zuschreibung des „Woyzeck“ als Sozialdrama.

n)      IR 43: s. o.

o)      IR54: betrifft z. B. u. a. den „Hafen“ in Woyzeck H1,14.

p)      Zitat 14, 2a-c: verzichtet der „Quellenfetischismus“ der Woyzeck- bzw. Büchner-Rezeption generell auf den Nachweis , inwieweit Quellen für die Textanalyse der literarischen Büchner-Werke relevant sind.

Allerdings: Die Intepretationsregeln der strukturalen Textanalyse sind notwendig zur Formbestimmung eines Textes, aber nicht hinreichend. Das erweist sich an Titzmanns Analyse von Uhlands „Das Schloss am Meer“. Uhlands Gedicht produziere ein komplexes System von Homologien, das seine eigene historische (mediative) Situation (zwischen Märchenliteratur und literarischem Realismus) abbilde, d. h. ihr isomorph sei. (261) Titzmanns Eingeständnis „problematischer Hypothesen“, die durch die noch durch die mediatisierte poetische Opposition von Monarchie und Demokratie getoppt werden (262) ahnt wohl instinktiv, dass er an den zauberhaft leichten Versen völlig vorbei interpretiert hat und deren Form auch nicht ansatzweise erfasste.  Denn ein Schloss, dass sich wie Narziss in der Flut spiegeln will und das andererseits nach Höherem strebt, darf keinesfalls der Klasse des Nicht-Menschlichen zugeordnet werden, während die Wandlung des Königspaars zu den bloßen Eltern im Schloss nicht ersterem der Krone beraubt, sondern letzteren die Krone aufsetzt. Ihre Trauer gilt dem (wie Titzmann richtig feststellt „untergeordneten“) „Ich“ im Gedicht, dass die suggerierte Perspektive der (untergeordneten) Du-Stimme nicht annehmen kann und will, obwohl sie versucht, den Entwurf von Höhe und Schloss, brav zu spiegeln. Da ist keine Jungfrau gestorben, auch wenn die Eltern Trauer tragen. Die fehlenden Konturen der Figuren, die Nullstellen, die Titzmann korrekt identifiziert und falsch analysiert, entstehen aus der perspektivischen Nähe der beiden Positionen zum Dichter bzw. Rezipienten. In dem Gedicht kommuniziert eine gesellschaftliche Erwartung („du“) mit einer individuellen  inneren Stimme („ich“), die sich einen eigenen Weg sucht. Abseits der "Jungfrau".

 



[1] Titzmann setzt den Begriff „Text“ fast immer in Anführungszeichen, weil auch außersprachliche Texte einbezogen werden. Diese Anführungszeichen werden hier weggelassen.